Ein Märchen von der Sauerländer Märchenerzählerin Frau Müller: „Prinzessin Hilda und das Wunderei“

Frau Müller ist Märchenerzählerin und lebt im Sauerland. Sie hat sich für ihre Enkelkinder ein Märchen ausgedacht, weil sie diese nicht treffen darf- wie viele von euch auch auch nicht die Großeltern treffen können. Sie grüßt auch euch lieber Sauerländer Kinder damit ganz herzlich. Viel Spaß damit!

Es lebte einmal ein Bauer, der hieß Frieder. Er hatte einen Hühnerhof mit über 100 Hühnern, die legten die besten Eier weit und breit. Weiß wie Schnee waren sie, ihre Dotter orange-gelb, und sie schmeckten so köstlich, dass die Leute von weit her gereist kamen, um sie zu kaufen. 

Die größten Eier aber legte die Henne Elsa. Das waren wahre Wundereier, ihre Schalen schimmerten golden, und sie schmeckten so köstlich, dass alle, die sie verzehrten, sogleich fröhlich wurden und lachten und sangen, auch wenn sie vorher traurig, voller Sorgen oder schlecht gelaunt waren. Und mehr noch, sie steckten alle Menschen, die ihnen begegneten, mit ihrer Fröhlichkeit an, so dass diese auch nicht anders konnten, als selber zu lachen und vergnügt zu sein, und so herrschte von morgens bis abends eitel Glück und Zufriedenheit im ganzen Haus. Leider aber legte Elsa nur alle drei Tage ein Ei, darum waren ihre Eier auch sehr wertvoll und der Bauer ließ sie sich so teuer bezahlen, dass sie sich nur wenige Menschen leisten konnten.
Nun stand auf einem Berg hinter dem Bauernhof von Bauer Frieder ein Königsschloss, und der König und die Königin, die dort regierten, hatten eine Tochter, Prinzessin Hilda, die war acht Jahre alt. Hilda hatte von ihren Eltern zu Weihnachten einen goldenen Ring geschenkt bekommen, der mit winzigen bunten Glitzerperlen besetzt war. Eines Tages aber war ihr Ring weg. Sie hatte ihn verloren. Sie suchte und suchte, und alle, die im Schloss wohnten, suchten mit, aber der Ring war einfach nicht zu finden. Seither war Hilda traurig, so traurig, dass nichts und niemand sie aufheitern konnte. Trällerte ihre Mutter ein fröhliches Lied vor sich hin, so sagte sie: „Hör auf, Mama, ich mag das nicht.“ Wollte ihr Vater sie necken und mit ihr Spaß machen, dann sagte sie: „Sei nicht so albern, Papa.“ Kein Essen schmeckte ihr, nicht einmal Schokolade, und alle Diener gingen ihr aus dem Weg, weil sie immer unfreundlich und missmutig war. Niemandem schenkte sie ein Lächeln. Keiner konnte es ihr recht machen.
Der Winter verging, es wurde Frühling, und das Osterfest stand vor der Tür. Alle im Schloss freuten sich. Sie bliesen Eier aus, malten sie bunt an und hängten sie an grüne Zweige, die sie in großen Vasen im Schloss verteilten. Sie bastelten kleine Häschen und Küken aus Pappe oder Ton und bemalten sogar die Fenster im Schloss. Am Ende war alles geschmückt, und die Bewohner im Schloss warteten voller Freude auf Ostern, nur Prinzessin Hilda nicht. Sie hatte nichts gemalt und nichts gebastelt. Die ganze Zeit über war sie mit langem Gesicht im Schloss herumspaziert: „Was macht ihr euch solche Mühe?“, fragte sie. „Ostern ist bald vorbei, und dann müsst ihr sowieso alles weggräumen.“ Aber es gelang ihr nicht, den Dienern die gute Laune zu verderben.
Am Samstag vor Ostern gab es in der Schlossküche besonders viel zu tun. Der Koch und die Küchenmädchen und -jungen backten und kochten und bereiteten das Osteressen für den nächsten Tag vor. Spät abends beschloss der Küchenjunge Jan nach all der Arbeit sich zu entspannen und ein wenig im Schlossgarten spazierenzugehen. Die Blüten dufteten, die Vögel sangen ihr Abendlied und die Sonne schickte ihre letzten Strahlen. Da huschte plötzlich etwas in Windeseile an Jan vorbei. Es war grau, hatte lange Ohren, ein Stummelschwänzchen, einen weißen Po, und es trug etwas in seinem Mäulchen. Es war ein kleines Häschen. Der Junge folgte ihm und sah gerade noch, wie es in seine Höhle schlüpfte.
Leise schlich er hinterher und schaute herein. Da saß doch eine ganze Hasenfamilie – Mama, Papa und fünf kleine Hasenkinder – um einen kleinen Baumstumpf herum. Bunte Farben, Pinsel und Wasserbehälter standen darauf und ein großer Topf voll mit schneeweißen Eiern. Das sechste Hasenkind, jenes, das im Garten an Jan vorbeigehuscht war, ließ gerade ein Ei, welches es in seinem Mäulchen trug, vorsichtig in den Topf gleiten.
„Ist das etwa ein Ei von der Henne Elsa?“, fragte Papa Hase. „Ja“, antwortete Purzel, „ich hatte Glück. Sie hat es gerade heute gelegt.“ „Das schimmert ja wie Gold“, staunten die anderen Hasenkinder. „Es ist ja auch ein Wunderei“, sagte die Hasenmama. „Ich habe gehört, dass alle Eier, die Elsa legt, traurige Menschen fröhlich und vergnügt machen und sie zum Lachen bringen.“ „Aber leider legt Elsa nur alle drei Tage solch ein Ei“, meinte der Hasenpapa. „Bauer Frieder wird ärgerlich sein, wenn Elsas Nest leer ist. Es ist sehr wertvoll. Aber weil morgen Ostern ist, dürfen wir Osterhasen ja getrost alle Eier, die heute gelegt wurden, holen und sie morgen im Schlossgarten verstecken.“ „Ich will Elsas Wunderei selber anmalen und verstecken“, sagte Purzel. „Schließlich habe ich es ganz allein aus ihrem Nest geholt.“ „Tu das“, rief der Hasenpapa und klatschte in seine kleinen Pfoten. „Und nun an die Arbeit! Ich mache draußen ein Feuer, darüber werden wir die Eier kochen und sie dann anmalen. Heute Nacht wird nicht geschlafen, sondern gearbeitet.“
Jan, der Küchenjunge, hatte genug gehört. Leise schlich er davon. Er war ganz aufgeregt. Da hatte er doch tatsächlich die Osterhasen entdeckt! Jedes Jahr in der Osterzeit hatte er nach ihnen gesucht, aber nie einen gefunden. Er ging zurück und dachte dabei an die vielen Eier, die die Hasen nun kochen und bemalen würden. Er dachte an Elsa und ihr Wunderei, und auf einmal fiel ihm Prinzessin Hilda ein. Wie schön wäre es, wenn sie morgen Elsas Wunderei finden und zum Frühstück verspeisen würde. Dann könnte sie endlich wieder lachen und fröhlich sein. Aber wie sollte er es anstellen, dass sie das Ei fand?
Die Sonne war schon untergangen, der Mond stand rund und hell am Himmel und es war ganz still im Schlossgarten. Jan versteckte sich hinter einem dicken Apfelbaum und beschloss, die ganze Nacht wach zu bleiben, um im Morgengrauen die Osterhasen bei der Arbeit zu beobachten. Aber weil er müde war, wurden seine Augen bald so schwer, dass er doch einschlief und erst erwachte, als die ersten Sonnenstrahlen seine Nase kitzelten und er es leise im Gras rascheln hörte. Die Osterhasen! Da waren sie, acht Hasen – Mama, Papa und ihre sechs Kinder. Alle trugen ein Körbchen mit Eiern und huschten geschwind mal hierhin, mal dorthin. Im Nu hatten sie die Eier hinter Bäumen und Sträuchern, zwischen Blumen und Kräutern, in den Ritzen zwischen den Steinen der Schlossmauer und in den Gemüsebeeten versteckt. Jan hielt nach Purzel Ausschau. Da war er! Er hoppelte geradewegs auf den Apfelbaum zu, hinter dem Jan saß! Zum Glück war der Baum so dick, dass Jan sich um seinen Stamm herum auf die andere Seite schleichen konnte. Puh, das war nochmal gut gegangen! Das Hasenkind rannte zu seinen Eltern zurück, die schon am Gartentor mit ihren leeren Körbchen warteten und dann vergnügt davonhüpften.
Nun musste sich Jan beeilen. Bald würden die Schlossbewohner erwachen und nicht lange danach die Ostereiersuche beginnen. Purzel hatte mehrere Eier aus seinem Körbchen versteckt, aber das Wunderei hatte er doch tatsächlich hinter den dicken Apfelbaum gelegt. Welch ein Glück! Jan erkannte es genau. Es war wunderschön bunt bemalt, seine Schale aber hatte ihren goldenen Glanz behalten. Jan nahm das Ei, verbarg es unter seiner Jacke und lief ins Schloss zurück. Da kam ihm schon der Koch entgegen. „Wo warst Du, Jan?“, rief er barsch. „Du solltest doch in der Küche helfen, das Frühstück zu bereiten.“ „Entschuldige, bitte“, sagte Jan. „Ich konnte heute Nacht nicht schlafen. Da bin in den Garten gegangen und irgendwann unter dem Apfelbaum plötzlich eingeschlafen. Es tut mir leid.“ „Gib zu, du wolltest den Osterhasen finden“, lachte da der Koch. „Weil heute Ostern ist, will ich dir verzeihen. Aber nun lauf und hol dir ein Gefäß für deine Eier.“
„Frohe Ostern!“, ertönte es bald von allen Seiten. Der König und die Königin mitsamt den Dienern und Dienerinnen des Schlosses versammelten sich nach und nach mit ihren Körbchen, Schüsseln oder anderen Gefäßen im Vorraum des Schlosses, um sich gemeinsam auf die Ostereiersuche zu begeben. Heute waren sie alle gleich, ob König oder Diener, und sie lachten und freuten sich. Nur Prinzessin Hilda nicht. Die stand zwischen ihren Eltern und machte ein langes Gesicht. „Frohe Ostern“, sagte auch sie, weil es sich so gehörte, doch es klang eher wie „Traurige Ostern!“
Aber das kümmerte niemand. Der Hofmusiker blies in sein Horn zum Zeichen, dass die Suche beginnen konnte, das große Schlosstor wurde geöffnet und die ganze Gesellschaft strömte hinaus in den Garten. Es dauerte lange, bis ihre Gefäße voll mit bunten Eiern waren, und wieder ertönte das Horn zum Zeichen, dass die Suche nun beendet war.
Auch Jans Schüssel war voller Eier, und dazwischen lag das Wunderei, das er heimlich unter seiner Jacke hervorgeholt und dazugelegt hatte. Jan sah sich nach der Prinzessin um. Ganz alleine lief sie daher, ihr Gesicht war traurig, sie hatte kein einziges Ei in ihrem Korb.
Im Speisesaal hatten einige Diener bereits morgens in der Frühe eine große Tafel gedeckt und mit bunten Frühlingsblumen und Osterbasteleien geschmückt. Riesige mit Marzipan- und Schokoladeneiern verzierte Osterkuchen standen darauf, Körbe mit Osterbrot und Schälchen mit Butter und Marmelade. Alle setzten sich nun hin und stellten ihre Gefäße mit den Eiern vor sich. Ganz oben am Tisch nahmen der König und die Königin Platz, neben der Königin Prinzessin Hilda und dann alle Diener und Dienerinnen des Schlosses. Aber was war das? In Hildas Gefäß lag auf einmal ein Ei. Keiner hatte gemerkt, wie Jan es ihr auf dem Weg in den Speisesaal hineingelegt hatte.
Der König eröffnete nun das Osterfrühstück mit einem Tischgebet, sie sangen gemeinsam ein Osterlied, und dann wurde das frisch gebackene Osterbrot herumgereicht und Butter zum Schmieren. Nun nahm jeder ein Osterei aus seinem Gefäß, und es wurde ganz ruhig, bis der König noch einmal „Frohe Ostern“ rief. Alle antworteten „Frohe Ostern“ und dotzten nun gleichzeitig die Eier auf ihren Tellern an. So war es im Schloss seit Hunderten von Jahren Brauch. Jetzt wurden die Eier gepellt und dabei geredet, gelacht und gescherzt, und alle freuten sich und ließen es sich schmecken. Widerwillig und nur weil ihre Eltern es von ihr verlangten, pellte auch die Prinzessin ihr Ei. Jan saß am anderen Ende des Tisches und beobachtete sie. Das Wunderei! Würde es Hilda verwandeln?
Da, schon beim ersten Bissen hellte sich das Gesicht der Prinzessin auf. „Lecker!“, rief sie. Und noch einmal: „Lecker! So etwas Köstliches habe ich noch nie gegessen“. Sie biss wieder in das Ei und aß es ratzeputz auf. Da wurde es mucksmäuschenstill im Saal und alle schauten erstaunt auf die Prinzessin. „Ist das heute ein schöner Tag“, rief sie. „Ich habe euch noch gar nicht richtig „Frohe Ostern“ gewünscht. Frohe Ostern, Mama und Papa! Frohe Ostern, liebe Leute! Heute wollen wir lachen und fröhlich sein.“ Und da fing sie an zu lachen – und lachte und lachte und konnte gar nicht aufhören zu lachen. Und alle, alle lachten mit und giggelten und gackelten und kicherten und feixten und glucksten um die Wette. Welch eine Fröhlichkeit herrschte im Königssaal! Bald darauf erhoben sich die Musikanten, holten ihre Instrumente herbei und spielten auf, und alle sangen und tanzten miteinander. Solch ein lustiges Osterfest hatte das Schloss nie erlebt, und sie feierten bis zum Morgengrauen.
Vielleicht fragt ihr nun, wo eigentlich der Ring hingeraten war, den die Prinzessin im Winter verloren hatte? Nun, eine Elster hatte ihn im Schlosspark im Schnee gefunden und in ihr Nest getragen. Da liegt er wahrscheinlich immer noch. Wenn ihr wollt, könnt ihr ihn ja suchen. Aber ich glaube, dass das gar nicht nötig ist. Denn viel schlimmer als ihren Ring zu verlieren war es ja für die Prinzessin, ihre Fröhlichkeit zu verlieren, und die hat sie nun wieder. Welch ein Glück!

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